Teepeeland in der ecke No 3 2020

Aus der „ecke köpenicker“ No 3 Juli/August 2020: Die Indianer von der Spree

LETZTE ÄNDERUNG am Mittwoch 8. Juni 2022 14:31 durch BV LuiseNord


Seit 2012 siedeln friedliche Zeltbewohner hinter der Eisfabrik am Spreeufer

Falko Hennig ist Berliner Stadtführer und führt seine Gäste auch oft entlang unseres Spreeufers. In der neuen „ecke köpenicker No 3/2020“ berichtet er vom Besuch im Teepeeland:

„Ich kenne das Teepeeland seit vielen Jahren und führe gern Touristen und Nachbarn durch diese Oase der Großstadt. Uns wurde dann Kaffee oder warmes Essen angeboten und ich empfehle einen Spaziergang zu den Großstadt-indianern am Spreeufer.

Von der Köpenicker Straße folge man dem Wilhelmine-Gemberg-Weg bis zum Ufer der Spree und schlage den Fußweg nach rechts ein. Nach 20 Metern ist man auf dem malerischen Gelände mit Beeten, Zelten, einem winzigen Dorfplatz, Bühne und einer Free Box, aus der man nützliche Dinge entnehmen oder sie dar-in zurücklassen kann.

Das Teepeeland oder (auch -Dorf) ist ein Wunder und von dem geplanten öffentlichen Spreeuferweg eines der wenigen schon zugänglichen Stücke, meiner Meinung nach, das attraktivste.

Grund dafür ist die Zeltsiedlung selber, wo ich mit Oliver spreche, dem derzeit am längsten hier lebenden Bewohner. Geboren ist der vollbärtige Engländer 1978 in London, er studierte Soziologie, war Missionar in Indien und schon Novize in verschiedenen Klöstern.

Doch anstatt weiter betend in Askese zu leben, kam er im September 2012 nach Berlin, um zwei Wochen zu bleiben. Daraus sind inzwischen fast zehn Jahre geworden.

Es verschlug ihn damals hier ans Ufer, wo bereits zwei Tipis standen. Einen davon konnte er beziehen und zwei Monate später, noch im Winter, baute er sein eigenes Zelt.


Wann wurde Teepeeland gegründet?


Fliege“ ist der Name des Erbauers des ersten Tipis im klassischen Stil der nordamerikanischen Indianer im Sommer 2012, erfahre ich von Oliver.

Das erste richtige Plenum gab es am 1. Mai 2013 mit sieben Bewohnern und einer Bewohnerin. Von den Gründern ist Oliver der letzte, der noch fest hier lebt. Sie sind aus aller Welt und haben, damit das so bleibt, die Regel aufgestellt, dass jeweils nur zwei Bewohner aus dem-selben Land stammen dürfen.

Dass die verschiedensten Großstadtindianer hier so gut mit Nachbarn und der Staatsmacht auskommen, liegt an ihren eigenen Regeln. Aggressivität, Sexismus, Homophobie, Rassismus, Drogen und erst recht Drogenhandel sind streng untersagt. Dagegen ist normalerweise die Toleranz groß mit Campinggästen, insbesondere wenn die Notaufnahme für Obdachlose geschlossen ist.

Doch mit Corona ist alles anders. Jetzt im Sommer 2020 sind sie neun Bewohner, davon eine Frau. Dazu kommen zwei Katzen, die für Rattenfreiheit sorgen, ein Vogelstall mit weißen Zuchttauben, einige Hühner sollen wieder angeschafft werden. Die letzten hat der Fuchs gestohlen.

Wasser holen sie jeden Tag von den Nachbarn, Strom beziehen sie genauso wie alle anderen Berliner. Für nötige Bedürfnisse sind Komposttoiletten errichtet. Zum Duschen gibt es zum Beispiel am Kottbusser Tor Gelegenheit, wo man für 50 Cent eine gründliche Körperreinigung durchführen kann.

Gegen Kälte hat Oliver einen Gasofen, auch die Feuerstellen der Zelte reichen aus, um dem Winter zu trotzen. Er ist Volontär beim Spreefeld im Bundesfreiwilligendienst und hat mit der Vergütung ein bescheidenes Auskommen.

Andere Bewohner sammeln Flaschen, die einzige Bewohnerin hat wegen der Corona-Pandemie ihren Job in einem Hotel verloren.


Ich frage Oliver, ob die kleine Siedlung hier legal sei.


Sie sei akzeptiert und hätte durch ihre gesellschaftlichen Aktivitäten, die weit übers Wohnen hinausgingen, so etwas wie ein Gewohnheitsrecht.

Oliver setzt sich für alternative Entwicklungen ein und sieht das Teepeeland als Kulturprojekt, bei dem öffentliches Land öffentlich genutzt wird. Micha stimmt ihm zu: „Wir haben was genommen und geben damit was zurück.“

Micha lebt immerhin auch schon sieben Jahre hier. Er wollte sich eine Wohnung in Berlin suchen und ist dann hier am Spreeufer gestrandet.

Vor einigen Tagen fand nach dem Lockdown endlich wie-der eine Lyriklesung statt, bei der sich der Mindestabstand von anderthalb Metern gut einhalten ließ. Sonst gibt es in normalen Zeiten eine offene Bühne, Stand-up-Comedy, Jam Sessions und Kino. Alles gratis für die Besucher und auch eigene Getränke dürfen gern mitgebracht werden.


Wegen Corona fallen derzeit alle Veranstaltungen aus.


Wer langfristig zum Stamme der Spreeindianer stoßen will, muss in normalen Zeiten zuerst sein Zelt aufbauen – erst dann gibt es die Möglichkeit, sich ein Tipi zu bauen.“

Falko Hennig


Der Autor lädt täglich zum Stadtspaziergang „Flieger und Indianer“
(min. 5 Teilnehmer, 2h/€ 12,-) durch die Luisenstadt ein.
Treffpunkt: 11 & 14 Uhr, U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße Ecke Köpenicker.
Termin nach Absprache: Anmeldung erforderlich (0176) 20 21 53 39.

Falko Hennig ist Schriftsteller, Kolumnist, Mitglied der Lesebühne „Reformbühne Heim & Welt“ und Stadtführer – zu Fuß, mit dem Rad oder mit der Rikscha. 2019 hat die BZ Hennig in diesem Artikel gefeatured:
www.BZ-Berlin.de/berlin/berliner-touristenfuehrer-falko-hennig-hat-den-rikscha-blues


Foto oben: Ch. Eckelt


Die nächste „ecke“ erscheint  Ende August 2020.
Redaktionsschluss ist Freitag, der 14. August.

Die Themen in dieser Ausgabe (Themen im Sanierungsgebiet fett):

Bedarfsgerechter Wohnungsneubau – Sozialstudie Heinrich-Heine-Viertel // Bärenzwinger: Visionen für einen Kulturstandort. Öffentliches Forum zur Zukunft des Orts am 3. September 2020 // Stadtteilladen wieder offen: Mundschutz ist erforderlich // Bautätigkeit in der Nördlichen Luisenstadt – Erneuerungen im Köllnischen Park // Nachrichten/Leserecke: Kita Alegria // Neues vom Bürgerverein Luisenstadt: Spendenaufruf „Aktion Dankeschön“ für unsere Alltagshelden / AG Grün / Stammtisch / Website // Bürohäuser treiben die Grundstückspreise: Die neuen Bodenrichtwerte für die Luisenstadt im Bezirk Mitte // Teepeeland – Die Indianer von der Spree: Seit 2012 siedeln friedliche Zeltbewohner hinter der Eisfabrik // Aus dem Bezirk Mitte: Mietendeckel wirkt: Im November müssten viele Mieten eigentlich sinken – Kampf um Karstadt // Kommentar: Mehr Profil! – Die Zukunft der Warenhäuser // Bücher für den Berlin-Zuhause-Urlaub // Gebietsplan und Adressen // Eckensteher: Kleine Maskenstudie // Pflastersteine // Welche Ecke? Fotorätsel

Lesen/Downloaden Sie bitte die gesamte „ecke köpenicker No. 3 juli/august 2020“ sowie alle „ecken“ bisher hier auf der Website des Bürgervereins Luisenstadt


 

Hier kannst du gern kommentieren. Der Spamfilter ist allerdings scharf gestellt!

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.