Peter Barsch am Ort seiner Republikflucht - Foto: Falko Hennig

„Beiß auf Deine Hand, du klapperst so laut!“ – Flucht durch die Spree

LETZTE ÄNDERUNG am Montag 1. Dezember 2025 21:33 durch BV LuiseNord


Bild oben: Peter Barsch schwamm 1978 durch die Spree in den Westen.

Peter Barsch ist an der Ecke Oncken und Harzer Straße aufgewachsen und kann sich an den Bau der Mauer erinnern, die anfangs noch aus Stacheldraht bestand.

Die Eltern warnten ihn und seine Freunde: „Ihr geht aber nicht in den Westen!“ „Nöööh!“ Aber dann machten sie es trotzdem, sie waren kaum fünf Jahre alt. Sie robbten unter dem Stacheldraht durch und kamen genauso zurück.

Als die Mauer dann wirklich eine Mauer und mehr war, wurde die Familie nach Lichtenberg „umgesetzt“ und das Haus für den Todesstreifen abgerissen.

Peter lernte Schlosser an der Berufsschule Ernst Zinna direkt an der Mauer dort, wo heute das YAAM ist. Da hatte er Blick über den Todesstreifen, der von der Spree gebildet wurde, und die Schillingbrücke, auf der ein Wachturm stand und die niemand außer Grenzsoldaten überqueren durfte.

Dahinter sah man die Thomaskirche in Westberlin. Was würde der Soldat auf dem Wachturm bei Regen machen? Würde er nachts die ganze Zeit angestrengt ins Grau starren?

Peter Barsch fand nichts an der DDR gut.

Einmal schaltete er von einem Stones-Konzert im Westen auf DDR-Fernsehen um und es sang ein Pionierchor. Er musste heulen vor Wut.

Er lernte die Schwimmerin Ute aus Magdeburg kennen und erinnerte sich an die Grenzsituation nahe seiner Berufsschule. Sie wollten es schwimmend probieren, nachts bei Regen mit Flossen.

Es gab das Café Posthorn am Alex, genannt „Tute“, da saß er immer. Und dann regnete es.

Ute kam vorbei: „Heute ist es so weit.“

Es war September 1978 und sie stiegen nachts gegenüber dem S-Bahnhof Jannowitzbrücke in die Spree, mit dunklen T-Shirts, damit ihre helle Haut bedeckt war.

Sie schwammen am westlichen Ufer Richtung Schillingbrücke. Als sie am Kraftwerk vorbeikamen, genossen sie das warme Abwasser und konnten sich etwas aufwärmen.

Unter der Michaelkirchbrücke hindurch schwammen sie bis an die Schillingbrücke. Die drei Brückenbögen auf westlicher Seite waren zu, im nächsten wartete ein Patrouillenboot der Grenztruppen und nur der linke Bogen war frei. Sie wollten warten, bis das Boot wegfahren würde. Doch es blieb im Wasser stehen und ihnen drohte Unterkühlung.

„Beiß auf Deine Hand, du klapperst so laut!“

Ute klapperte mit den Zähnen, er sagte: „Beiß auf Deine Hand, du klapperst so laut!“ Sie tat es. Er sah sie an, wie sie nun das Klappern mit ihrer Hand dämpfte. Sie war schwanger, er machte sich große Sorgen.

Sie beschlossen, an dem Boot vorbei zu schwimmen: „Wir müssen in Bewegung bleiben, wir schwimmen jetzt!“ Dann war es sehr merkwürdig. Denn als Ute vor ihm schon das Motorboot passiert hatte und er am Bug war, ging der Scheinwerfer an und der Motor wurde gestartet. Ute tauchte weg.

Peter war sich sicher, nun verhaftet zu werden. Doch stattdessen fuhr das Boot ab und an ihnen vorbei. Die Grenzer hatten sie nicht bemerkt.

Sie schwammen weiter durch den Bogen. Nahe an der Brücke führte eine Eisenleiter die Flussmauer nach oben. Bei der war Peter sicher, dass sie zu zweit vom Wachturm auf der Brücke gesehen werden würden und dass dann auf sie geschossen würde.

Es gab auf Westberliner Seite einen kleinen Hafen. Vor dem BEHALA-Gebäude lagen die Schiffe: „Lieber ruhig weiterschwimmen! Hinter den Schiffen können sie uns nicht mehr sehen.“

Wären sie erstmal zwischen den Schiffen und der Kaimauer, hätten die Grenzer auf die Westberliner Schiffe schießen müssen, um sie zu erwischen.

„Ich schaff’s nicht, hier hochzuklettern!“

Als Ute da hochklettern sollte, sagte sie: „Nee, du gehst zuerst!“ Er konnte gut klettern. Als er auf der Kaimauer lag und sie noch im Wasser und damit im Osten schwamm, da sagte sie in merkwürdig offiziellem Ton, als hielte ein SED-Genosse eine Rede, deren Schlusssatz lautete: „Ich schaff’s nicht, hier hochzuklettern!“

Ihm wurde schlecht vor Wut und er schrie sie an: „Du verdammte ***“. Er benutzte das schlimmste Schimpfwort deutscher Sprache.

Ob dadurch aufgerüttelt oder aus anderen Gründen, jedenfalls versuchte Ute nun doch hochzuklettern und Peter griff sie, wahrscheinlich sehr schmerzhaft, und zog sie hoch. Dass sie im Westen waren, daran bestand kein Zweifel, da standen Mercedes-LKWs mit Werbung für Sprengel-Schokolade.

Sie sahen sich an und konnten es nicht fassen: „So einfach ist es, in den Westen abzuhauen!“

Quelle: Falko Hennig in der ecke köpenicker No 4 September Oktober 2025

Der Autor lädt zu Stadtspaziergängen durch die Luisenstadt. Nach Absprache unter Telefon (0176) 20 21 53 39.

Fotos: Falko Hennig

Peter Barsch am Ort seiner Republikflucht - Foto: Falko Hennig
Von der Jannowitzbrücke durch die Spree nach Westberlin, Peter Barsch am Ort seiner Republikflucht über 40 Jahre später.

ecke köpenicker 4 2025 Cover
ecke köpenicker 4 September Oktober 2025 – hier lesen/herunterladen

ecke köpenicker No 4 September Oktober 2025 – Lesen/Herunterladen

Alle ecken seit der Erstausgabe hier in unserem Blog

Und es gibt weitere ecken in anderen Mitte-Sanierungsgebieten:

Andere ecken 2 2025 Collage
Andere ecken 2 2025 Collage

Hier kannst du gern kommentieren. Der Spamfilter ist allerdings scharf gestellt!

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.