Moabit Tram. Foto: Ch. Eckelt in der ecke 4/2023

Verkehrswende: Bürgerbeteiligung oder Vollendete Tatsachen?

LETZTE ÄNDERUNG am Sonntag 15. Oktober 2023 14:47 durch BV LuiseNord


Vollendete Tatsachen – Wie die Senatsverkehrsverwaltung Bürgerbeteiligung ad absurdum führt

Eine Geschichte aus Moabit. Mit einer neuen Tram, Absperrgittern, einer verärgerten Stadtteilvertretung und einer ignoranten Senatsverkehrsverwaltung.

Es ist auf den ersten Blick vielleicht eine Petitesse. Aber manchmal sind es eben die Petitessen, die ein Fass zum Überlaufen bringen. Oder, schlimmer noch, ein Indiz dafür sind, dass irgendwas ganz grundlegend falsch läuft.

Die kleine Geschichte spielt also in Moabit, dort, wo gerade die Verlängerung der Tram M10 vom Hauptbahnhof bis zum U-Bahnhof Turmstraße fertig gebaut wurde.

Dieser Beitrag erschien als Artikel in der aktuellen Ausgabe der Stadtteil­zeitung „ecke köpenicker. Siehe Download-Link unten
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Der Bau ging sogar, für Berliner Verhältnisse, überraschend reibungslos über die Bühne – wäre nun nicht plötzlich ein Absperrgitter dort, wo laut Planungen keines sein dürfte.

Der Stadtteilvertretung (STV) Turmstraße fiel das zuerst auf, sie hatte sich ja auch zuvor sehr intensiv und durchaus fachkundig mit der Planung der Tramstrecke auseinandergesetzt.

In der Straßenbahnplanung war am Kreuzungsbereich Turmstraße / Jonasstraße bzw. Thusnelda-Allee eine Querungsmöglichkeit für Fußgänger und Radfahrer vorgesehen.

Das ist sinnvoll, weil eben viele an dieser Stelle vom Spreeufer kommend geradewegs ins nördliche Moabit gelangen (z.B. auch zum Rathaus oder in die Arminiusmarkthalle) bzw. umgekehrt.

Zudem befindet sich an der Thusnelda-Allee die Heilandskirche. Deshalb sah die Planung an dieser Stelle eine Querungsmöglichkeit über die Tramgleise vor, so ist es auch im Planfeststellungsverfahren fixiert.

Doch stattdessen stehen dort jetzt Absperrgitter. Die STV war darüber sehr erstaunt und wandte sich schriftlich an die BVG und an die zuständige und federführende Senatsverkehrsverwaltung.

Auskunft bekamen sie lediglich von der BVG, die in ihrer Antwort fast entschuldigend schrieb, die Absperrung sei »nicht auf Betreiben der BVG, sondern aufgrund von Bedenken der zuständigen Technischen Aufsichtsbehörde / Straßenverkehrsbehörde erfolgt.
Das Projekt wurde damit vom Senat beauftragt, hier eine Querung der Straßenbahngleise zu unterbinden.«

Die Senatsverkehrsverwaltung ihrerseits hielt es nicht mal für nötig, der STV zu antworten. Geschweige denn, dass sie zuvor zumindest den Bezirk über die Bauänderung in Kenntnis gesetzt hätte.

Nun ist ein Planfeststellungsbeschluss nicht irgendein Papier, in das man am nächsten Tag seinen Fisch einwickeln kann – er ist im juristischen Sinn eine Verfügung und das Ergebnis eines aufwendigen Planfeststellungsverfahrens, bei dem sehr, sehr viele Beteiligte (darunter die Fachämter) und Betroffene einzubeziehen sind.

Am Ende dieses Verfahrens steht der Feststellungsbeschluss als verbindliche Grundlage der Realisierung. Würde die Planung geändert, müsste das Verfahren wieder neu aufgerollt werden (laut §76 VwVfG).

Das Planfeststellungsverfahren für die Tramverlängerung wurde im November 2017 begonnen, wegen eines geänderten Schallschutzgutachtens der BVG mussten die Pläne dann nochmals 2019 öffentlich ausgelegt werden, im Januar 2021 lag der Planfeststellungsbeschluss vor.

Schwer zu glauben, dass bei all dem ausgerechnet die Straßenverkehrsbehörde des Senats nicht beteiligt gewesen oder aber nichts mitbekommen haben soll. Jedenfalls ist der Übergang klar und deutlich in den Planungen eingezeichnet, und zwar dort, wo er auch begründet hingehört.

Die Senatsbehörde verstößt also gegen den Planfeststellungsbeschluss.

Und was passiert? Nichts – natürlich, muss man in dieser Stadt wohl sagen. Der Bezirk Mitte war zwar von der einsamen Entscheidung der Verkehrsbehörde genauso brüskiert wie die Stadtteilvertretung, aber Bezirksverwaltungen können nicht gegen Senatsverwaltungen klagen, weil beide ja zur Landesverwaltung gehören. Bleibt die politische Ebene.

Also stellte Taylan Kurt, Mitglied des Abgeordnetenhauses für Bü90 / Die Grünen und früher selbst mal Stadtteilvertreter, eine entsprechende Anfrage an die zuständige Senatorin im Abgeordnetenhaus.

Lustigerweise werden diese Anfragen meist von denen beantwortet, deren Arbeit ja überhaupt erst Anlass der Anfrage war – also von der jeweiligen Fachverwaltung.

Das ist zwar einerseits sinnvoll, weil die ja am ehesten fachlich auskunftsfähig ist, geht aber natürlich nach hinten los, wenn die Anfrage kritisch Rechenschaft fordert.

Kurz: die ausweichenden Antworten auf die Anfrage lohnen es nicht, hier wiedergegeben zu werden.

Zurück bleiben: eine Senatsverwaltung, die gegen einen juristisch verbindlichen Planfeststellungsbeschluss verstößt, die aber offensichtlich nichts dabei findet und offenbar auch nicht sanktioniert werden kann; die es nicht für nötig hält, über die Entscheidung zu informieren, sie zu erklären, geschweige denn sich zu entschuldigen.

Es bleiben die Absperrgitter sowie ein Übergang hundert Meter weiter, dort, wo niemand ihn braucht und wo Radfahrer jetzt gefährliche Umwege in Kauf nehmen müssen.

Und eine Stadtteilvertretung und viele andere Moabiterinnen und Moabiter, die sich völlig zu Recht verarscht fühlen. Wundert sich noch jemand, dass in dieser Stadt der Frust wächst?


Quelle: „us“ in der „ecke köpenicker No 4 September Oktober 2023“

Foto oben: Ch. Eckelt


ecke köpenicker No 4 für September Oktober 2023

Alle „ecken“ seit der Erstausgabe hier in unserem Blog

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